Schiffe gehen nicht unter wegen des Wassers um sie herum. Sie sinken wegen des Wassers, das in ihr Inneres dringt.

Therapiestunde - Verantwortung & Täter

Da sitze ich nun. Es geht mir nicht gut und ich erzähle von meiner vergangenen Woche, von meinem Kampf um wenigstens ein wenig Normalität.

 

Was war passiert? 

Nach der letzten Therapiestunde hatte ich zum ersten Mal, in der Straßenbahn, heftig zu tun nicht bewußtlos zu werden oder in der Bahn zu erbrechen. Ich nehme an, es war eine Panikattacke. Ich habe es nach Hause geschafft, bin ins Bett gefallen und habe den Rest des Tages verschlafen. Die ganze Woche war ich nicht handlungsfähig. Mein Kopf war in den Totalstreik getreten. Ich hatte keine Ahnung warum es geschehen ist, denn nach der Therapiestunde ging es mir gut.

 

"Irgendetwas muss passiert sein. Irgendetwas hat sie dermaßen getriggert, dass ihr Körper alle Schutzmechanismen ausgefahren hat", war die Antwort meiner Therapeutin.

 

"Wissen sie noch, welches Thema wir besprochen haben? Welche Erkenntnis haben sie gewonnen?

Warum geht es ihnen in Dänemark so gut und hier in Dresden nicht? Was machen sie hier anders, als in Dänemark?" ...

Ich konnte sehr gut, den Unterschied zwischen Dänemark und Dresden aufzeigen.

"Genau an dieser Stelle waren wir in der letzten Stunde. Sie haben alles vergessen. Alles ausgeblendet. Sie haben sich zurückgezogen und die Verantwortung abgegeben. Irgendetwas hat ihnen sehr weh getan, deshalb konnten sie die Woche nicht anders verbringen, deshalb hat ihr Körper abgeschaltet. Therapie ist nicht leicht! Therapie tut weh und so manche Erkenntnis ist sehr hart."

 

Im Verlauf der Sitzung ergründe ich nun, was hier und dort anders ist. Warum ich dort glücklich sein kann und nicht hier, zu Hause. Der gravierende Unterschied ist, in Dänemark blende ich die gesamte Welt aus und in Deutschland mache ich das nicht. Hier ist der Alltag, mit all seinen Anforderungen und äußeren Einflüssen.

 

Ich habe die Verantwortung

"Genau jetzt, sind wir wieder an der Stelle, wo wir in der letzten Stunde aufgehört haben. Es ist allein IHRE VERANTWORTUNG! SIE ALLEIN LASSEN ES ZU!"

In mir dämmert es und hart erkenne ich, dass ich selbst Dänemark bunt male und Dresden grau male. Ich bin es, die den Farbpinsel in der Hand hat und mir die Welt bunt malen kann oder eben auch nicht. Es ist meine Verantwortung.

 

"Sie sagen selbst, sie wohnen in ihrer Traumstadt, haben eine wunderschöne Wohnung, haben eine wundervolle Familie, gute Nachbarn, gehen zur Ergotherapie und sie sind zufrieden. Was treibt sie also? Was ist anders?

Das sitzt und mir wird sehr klar, dass sie Recht hat und ja, es tut weh. Anders ist, dass hier in Deutschland, mich die Nachrichten kirre machen. Ich kann sie nicht wegschieben. Ich bin gar nicht gemeint und ich bin auch nicht so, wie Menschen beschrieben werden. Aber mich treffen diese Verallgemeinerungen, Meinungsbilder, Verurteilungen, das Schwarz-Weiß- und Schubladendenken. Mich treffen diese dämlichen Politiker, mit ihrer wahnwitzigen Politik.

 

Warum tuen sie sich das an? Sie haben die Verantwortung dafür. Sie sind krank! Sie können die Welt nicht retten. Sie brauchen keine Projekte mehr initiieren und arbeiten nicht mehr. Sie sind krank und EU-Rentnerin. Sie brauchen zum Leben keine politischen Informationen mehr. Sie haben die Verantwortung, nur für sich selbst! Es hat nichts mit Gleichgültigkeit oder Kopf in den Sand zu tun. Sie können es nicht ertragen und torpedieren ihre Stabilität. Sie sind krank! Übernehmen sie Verantwortung für sich selbst!"

 

Mir wird klar, dass ich meine Lebenswelt weiter verändern muss. Ich will Stabilität und daher ist es meine Aufgabe, alle Dinge zu verbannen oder zu minimieren, die mir nicht gut tun. Das heißt, ich werde die Grundlage dafür schaffen, das ich politische Themen, Sendungen oder auch Filme, verbanne. Wozu gibt es Kopfhörer und wozu kann ich Seiten blockieren und Beiträge überscrollen. Nein, ganz kann ich sicher nicht alles aus meinem Leben heraushalten, doch ich kann es auf ein Minimum reduzieren. Ich übernehme meine Verantwortung!

 

 

Ignoranz. Ich bin der Täter.

Unser Gespräch wendet sich hier und da hin. immer klarer werden in mir die Bilder. Dann erzählte ich von meinem Eindruck, dass ich an einigen Stellen funktioniere. Ich weiß nicht wie, aber in notwendigen (für mich) Situationen oder Tagen bin ich handlungsfähig und orientiert. Wenn es vorbei ist, knicke ich wieder ein. Mir wird fürchterlich bewusst, dass ich wirklich funktioniere. Auf Kommando funktioniere. Da ist jemand in mir, der mir die Kommandos gibt und mich in alten Verhaltensmustern handeln lässt, ohne das es mir bewusst ist und wird. Was für mich aber der fürchterliche Teil darin ist, ist die Tatsache das FUNKTIONIEREN = IGNORIEREN ist. Ich ignoriere mich selbst. Immer noch.

 

"Sie können leben. Sie brauchen ihre wackelnden Beine nicht. Sie haben die Verantwortung. Sie müssen nicht funktionieren. Sie werden nicht mehr ignoriert. Sie selbst sind der TÄTER! Oder wer, ist in ihrem Umfeld, für den sie krank sein müssen, damit sie nicht ignoriert werden? Sie wissen ja, krank sein hat auch Vorteile."

 

Mir verschlägt es eine Weile die Sprache. Ich bin der Täter! In mir ist der Täter. Das Wort triggert mich derart, dass ich Schwierigkeiten habe, es selbst auszusprechen. Es ist die knallharte Wahrheit. Mir wird sehr bewusst, dass Ignoranz noch immer eines meiner Hauptthemen ist. Ignoranz macht mich krank. Mir wird auch klar, dass es in meinem Umfeld, noch immer Situationen gibt, wo ich mich ignoriert und ausgeschlossen fühle. Situationen die, für andere, sicherlich völlig normal sind und keinen Aufreger wert. Für mich sind sie böse Trigger und meine Seele reagiert darauf, ohne das es mir bisher bewusst geworden ist.

 

 

Und nun? Was mache ich damit?

"Lassen sie es einfach mal so stehen. Nicht immer kann man sofort etwas damit anfangen. Es braucht Zeit und Annahme, dann sehen wir weiter," antwortet meine Therapeutin.

 

Neben meinem bewussten hinschauen und sofortigem aussprechen meines Unmutes, in Situationen die mir nicht gefallen, habe ich nun eine weitere Baustelle entdeckt, die bearbeitet werden möchte. Ignoranz-Gefühle sind ebenfalls auszusprechen, wenn ich sie erkenne. 

 

Abschiedsworte meiner Therapeutin:

"Achtung! Sie sind nicht Schuld! Gelernte Verhaltensmuster lenken sie unbewusst. Sie haben die Verantwortung aus sich zu achten!"

 

Manchmal möchte ich einfach nur normal sein, unbeschwert und unbeobachtet handeln können. Es ist echt ein harter Brocken, beständig in sich selbst zu schauen, achtsam mit sich selbst zu sein und dann noch laut auszusprechen, was in mir gerade vor sich geht, handeln einzufordern. Hab ich eine Wahl, wenn ich wieder gesund werden möchte? Nein! Ich habe die Verantwortung und ich übernehme sie.