Gedankensplitter-Wenn nachts der Farbfilm läuft und mir der Tag Tränen und Ruhe bringt.

Tränen brechen den Damm

In meiner Kunst-Einzeltherapie gestern hatte ich für kurze Zeit ein Bild in meinem Kopf. Es hat mich nicht weiter beunruhigt, da ich dann einen wunderschönen Leuchtturm mit Gänseblümchengarten malte. Alles war wie immer. In der Nacht kam dieses Bild wieder. Es hatte sich verändert: Ich stand vor einem tiefen Loch. Fassungslos blickte ich in das Loch, auf einen Sarg mit weißen Rosen bedeckt. Dann lief mein Farbfilm von der Todesnacht meines ersten Kindes. Auch hier gab es eine Veränderung. Der Fensterblick ging nicht hinunter zur Straße wo eine Laterne stand. Auf der Straße stand mein Bruder mit der Pistole am Kopf. Diese Bilder wiederholten sich.

 

Am Morgen verschlief ich und fand nicht in den Tag. Diese Bilder waren noch da. Sie rammten mich aus dem Gleis.

Ich sah in meinen Spiegel, die Übung die ich morgens machen soll. Heute sprach ich zu mir selbst: Ich sehe deinen Schmerz. Ich sehe dein Leid. Es kam aus mir heraus, einfach so, als ich mir in die Augen schaute.

 

In der Einzelpsychotherapie konnte bzw. musste ich es rauslassen. Ich konnte loslassen. Festhalten funktionierte nicht mehr. Ich konnte die Bilder sehen und FÜHLEN. Es brach aus mir heraus. Dann liefen die Tränen und Ruhe zog ein. Dieser ganze unendliche Klumpen Schmerz wurde zertrümmert. Auch wenn es einfach nur schlimm war, brachte mich die Stunde wieder etwas zu mir. Ich bin dankbar. Dankbar dafür, dass ich endlich weinen konnte und meine Gefühle wahrnehmen und rauslassen konnte. Seither ist Ruhe in mir. Wie tot. Wunderbare Ruhe und das sogar bis in meine Beine.

Um dieses Thema abzuschließen bzw. Distanz herzustellen, wollte ich mein Ritual ausführen. Am Nachmittag fuhr ich in die Altstadt, zur katholischen Hofkirche. Die riesige Kirche öffnete sich mir, mit nur spärlichem Licht. Niemand war dort. Ich hatte die Kirche für mich allein. Ich zündete eine Kerze an und setzte mich. Niemand da und ich saß da, schaute mir die Engel, Maria und ihr Kind an. Meine Gedanken gingen auf die Reise und ich führte eine Unterhaltung mit meinem Sternenkind. Ja, es geht ihm gut da oben und es spielt fröhlich auf den Wolken. Eine halbe Stunde saß ich dort allein. Allein mit mir und meine Gedanken, in aller Ruhe und Stille. Im Außen wie Innen. Langsam wurde die Kirche beleuchtet. Hier ein Licht und dann Licht über dem Altar. Dann hörte ich, von irgendwoher leises singen. Eine Frau sang leise Weisen. Ein wenig so, wie wenn Engel singen. Ganz leise und zart. Leise plätscherten die Töne durch meinen Körper. Eine ganz leise Melodie. Zwei Lieder lang blieb ich noch. Dann stand ich auf und ging.

 

Ich ging langsam hinüber in die Münzgasse. Ich wollte, wie jedes Jahr am 24.02., auch heute eine Kaffeezeit mit Daniele verbringen. Ich ging zum Spanier, setzte mich draußen unter die Heizsonne und schaute die Münzgasse hinunter. Wie immer bestellte ich mir einen Latte und spanisches Spritzgebäck mit heißer Schokolade. Meine Gedanken waren bei Daniele. Gemeinsam saßen wir dort, einfach so. Ich konnte dasein. Sie war ganz nah bei mir. Ja und ganz langsam entfernten sich meine Bilder, sie wurden blasser. 

Als es unruhig wurde, weil noch laute Gäste kamen, ging ich und fuhr zurück in die Klinik. Der Tag hatte einen guten ruhigen und warmen Abschluss bekommen. Es blieb diese Ruhe. Unendliche Ruhe, bis in die Beine.

Es ist ein Damm gebrochen. Endlich. Ich konnte weinen. Endlich. Die Schmerzen, wenn man nicht weinen kann sind höllisch. Heute wurde es mit den Tränen leichter. Tränen, noch ganz unwirklich. Gefühle!! Wut, Ärger, Verzweiflung, Hilflosigkeit, Trauer waren da!!! ganz tief in meinem Herzen. Diese Ruhe in mir, ist noch immer da, noch ganz unwirklich. Wohin diese Ruhe mich führt, keine Ahnung. Morgen ist ein neuer Tag.