Leben, so gut ich kann, ohne Therapie im Strudel des Alltags. Ich überlebe. Meine Tage reihen sich aneinander ohne Sinn.

Leben so gut ich kann, im Strudel des Alltags

Die Tage ziehen dahin, ohne Sinn. Die Diagnose Prostata-Krebs hat alles auf den Kopf gestellt, nimmt mir die Sicht und die Kraft.

Ich weiß so vieles, ich habe so viele Kenntnisse und doch weiß ich nichts, kann nicht viel umsetzen, hadere mit dem Leben, mit mir selbst und der ganzen Welt. Ich weiß, ich kann es nicht ändern und doch wünschte ich mir, das Schicksal könnte ja mal an mir vorbei gehen und Menschen treffen, die es verdient haben. Aber nein, ich muss auch das noch ertragen 

Ich weiß so viel und ...

Als es so schien, nun könnten gute Zeiten anbrechen, gingen meine Lichter aus. Seit her kämpfe ich um jeden Schritt mehr Lebensqualität im Leben mit der Depression. 3 Jahre Traumatherapie haben mich gut voran gebracht und einige Erlebnisse geglättet und bearbeitet. "Wir könnten 12 Notfall-Therapiestunden beantragen, wenn sie denn Hilfe bräuchten", waren die Worte meiner Traumatherapeutin am Ende der Therapie. Ich sollte und wollte jetzt LEBEN! Einfach so. Leben völlig ohne Psycho- oder Ergotherapie. "Sie haben so viele Kenntnisse, sie wissen so viel. Nun ist es an der Zeit, dass sie dieses Wissen selbst üben und anwenden".

Dann brach die Diagnose Prostatakrebs über uns herein und schlug mir heftig ins Gesicht. Seit her hangle ich durch das Leben, ohne Therapie. "... wenn ich denn Hilfe bräuchte..." versperrt mir den Weg zu meiner Therapeutin. Obwohl ich weiß und heute sehr bestimmt gesagt bekommen habe: ich brauche Hilfe. Ich weiß, dass der kürzeste Weg zur Hilfe,  der, zu meiner Traumatherapeutin wäre. Aber alles in mir weigert sich.

Mein Fass ist voll ...

Was kann ein Mensch ertragen? Eine Menge und sie sind trotzdem so stark, sagte heute die Ergotherapeutin. Ich? Bin stark? - Ich überlebe, irgendwie.

Seit 2011 bin ich krank.

  • Mein Vater starb an Prostatakrebs und zur Beerdigung wurde ich von meiner Mutter ausgeladen. Sein Wunsch im Sterbebett, seine Mädels zu sehen, wurde nicht erfüllt. Nach seinem Tod erhielt ich mein 1. Geschenk (wohlüberlegt) von ihm, übergeben.
  • Ich konnte es nicht mehr ertragen und brach den Kontakt zu meiner Mutter ab. Meine Mutter starb, ein Anruf teilte mir die Nachricht mit. Weiter nichts. Die Beerdigung fand statt, ohne mich. Es hatte niemand daran gedacht mich zu informieren. Ein Erb-Brief teilte es mir mit. Als ich nachfragte kam die Antwort "wir waren alle da". Nein, waren wir nicht. Ich habe gefehlt. 
  • In beiden Fällen war es nicht meine Entscheidung. Andere hatten darüber bestimmt, ob ich mich von meinen Eltern verabschiede oder eben nicht.
  • Ein weiterer Erb-Brief brachte dann die Kunde vom frühen Tod meines Bruders. Suizid. Was ich geahnt hatte, wurde schreckliche Wahrheit und niemand hätte es verhindern können.
  • Ich stellte mich einem meiner Traumata, dem Trauma vom Tod meine Kindes. Ich schaffte es, auch wenn dabei ein weiteres Trauma angerissen wurde. Meine Therapie wurde beendet.
  • Jetzt kam die Diagnose Prostatakrebs, direkt und einfach so brach sie in mein/unser Leben ein. Nun ist die Angst, dass der Tod schon in der Wohnungstür steht, groß. Auch wenn ich weiß, es sich hoffentlich bestätigt, dass wir noch Glück haben und eine Operation den Wahnsinn beenden wird. Ich bin neben der Spur.

Leben, so gut ich kann ...

Ich weiß, ich bin auf dem falschen Weg. Ich ziehe mich zurück, ins Schneckenhaus.  "Es ist in ihrer Situation aber nicht verwunderlich", sagt mir die Ergotherapeutin heute.

Meine Emotionen sind wieder abgeschaltet. In der Stimme klingt Frust und Wut, doch in mir ist es totenstill. Ich habe Angst, das die radiologische Untersuchung Metastasen zeigt, dass die Operation schief geht, dass ... Ich weiß, all die Horrorszenarien bringen nichts und müssen nicht eintreffen. Werden nicht eintreffen. Doch mein Kopf macht was er will. Meine Angst ist stärker. 

Im Alltag geht kaum etwas, jeder Gang ist schwer, jede Handlung unter Zwang. Freude oder Achtsamkeit funktionieren nicht. Ich bin im Einerlei des Nichts gefangen. Kurze Momente lenken mich ab - Fotografieren, Fotobearbeitung , einer Freundin helfen, ein Arzttermin, Ergotherapie  ... Danach streikt mein ganzer Körper wieder. Nichts geht. Null Antriebskraft oder Interesse. Es ist ein hoch und runter, jeden Tag. Jeder Tag ist anders. Der eine ist etwas aktiver,  es folgen Tage auf dem Sofa und ein andere werden vom Schlaf bestimmt. Ich bin so müde. 

Ich weiß, wir sind jetzt in dem Alter wo Krankheit und Tod oft vorkommen. "Das ist der Lauf des Lebens, gewöhnen sie sich dran". Wie kann ich mich daran gewöhnen? Ich habe keine Ahnung.

Ich will doch nur leben, mit meinem Mann.